Chiva
Warum nur haben die Dichter des Orients ihre Leier nicht hier erklingen lassen? Sie besangen Samarkand als die "Perle des Orients" und priesen Buchara als das "zweite orientalische Wunder", in denen man heute die alte Zeit mühsam zusammensuchen muß. Chiwa aber ist die vollkommene Märchenstadt.

Weil es in dieser oeden Gegend immer ein Hin und Her gab und Chiwa sich mit den Kara-Kalpaken, Kasachen und Turkmenen ohnehin im ständigen Kampf befand, haben die Menschen vor Jahrhunderten in nur sechs Tagen einen hohen und sechs Kilometer langen Mauergürtel mit Doppeltoren und Schutzwällen um diesen Ort gezogen. Dahinter hat sich wie im provenzalischen Avignon oder im toskanischen Lucca alles erhalten: Medresen, Moscheen, Minarette, Mausoleen.

Chiwa ist eine alte Oase. Als Alexander der Große um 334 vor Christus in Zentralasien einfiel, mag der Ort noch an dem im Abendland unter dem griechischen Namen Oxus bekannten Strom Amu-Darja gelegen haben. Doch schon Peter der Große mußte 1715 das alte Flußbett suchen lassen, als er einen bequemeren Weg nach Indien wünschte. Er wollte die Flußmündung in den Aral-See abschneiden und das Wasser wie einst in das Kaspische Meer fließen lassen. Chiwa kämpfte dagegen, und das zaristische Heer wurde vernichtend geschlagen. Knapp dreihundert Jahre später hätte sich das erübrigt, weil die kläglichen Wasserreste des Amu-Darja inzwischen irgendwo im Sand der Wüste Kyzyl-Kum versickern und den See überhaupt nicht mehr erreichen. Sicher, der Oasenort stand seit jeher im Schatten der beiden Konkurrenten. Die glasierten Majoliken hatten nicht die Leuchtkraft der orientalischen Hochkultur, weil es hier auch keinen grausamen Herrscher Tamerlan - oder Timur Lenk - gab, der nach Samarkand von überall her Künstler verschleppte und sie umbringen ließ, wenn sie ihr schönes Werk vollendet hatten. Was dort golden und aus dem 12. Jahrhundert war, ist hier braun, erdig, lehmig und viel jünger, immer aber von den Einheimischen selbst gemacht. Die Stadt war Provinz und ist Provinz geblieben. Was aber in Buchara noch einigermaßen und in Samarkand nur mit äußersten Mühen vermittelt werden kann, nämlich das tiefe Eindringen in eine vom Islam geprägte Lebenswelt und der Blick zurück in vergangene Jahrhunderte, gelingt im mittelalterlichen Chiwa mit seiner Mischung von steinerner Kunst und quirligem Leben sofort.

Mit den Geschichten aus "Tausendundeiner Nacht" hat man heute seine Probleme. Es gibt kaum mehr einen Ort im Nahen und Fernen Osten, im Vorderen Orient, in Zentralasien oder in Arabien, an dem man die Ruhe findet, den Märchen, Menschen und Mythen auf die Spur zu kommen. Doch in Chiwa ist dies möglich.

Weil die Europäer wahrscheinlich in alter Zeit über das riesige Doppeltor "Atadarvaza" in die Stadt gekommen sind, hat man die Tradition für die Touristen von heute übernommen. Vor dem Tor und noch in der Außenstadt "Dischan-Kala" liegt die Neuzeit mit dem Parkplatz und den vielen Denkmalsockeln, auf denen statt Lenin, Hammer und Sichel nun so manch streng dreinschauender Mufti zu Ehren kommt. Gleich dahinter in der Innenstadt "Itschan-Kala" steht die Medrese "Muhammad Amin Khan" und das Minarett "Kalta-Minar". Seine blau-grünen und weiß-gelben Majolikakacheln sind wie breite Bauchbinden um den Stamm gelegt. Als 1855 mit dem Bau begonnen wurde, wollte man den höchsten Turm in der islamischen Welt errichten, doch bei 26 Meter war dann Schluß. Seither steht das Minarett mit einem Basisdurchmesser von vierzehn Metern wie ein buntgekachelter Kühlturm unvollendet vor der Medrese. Nach einer Legende hat Noahs Sohn hier eine Quelle entdeckt. Inzwischen ist sie gefaßt und trägt neben dem Namen "Chejwak" das Schild "10. Jahrhundert". Doch der Wüstenort ist über 2000 Jahre alt. Er lag an einer Karawanenhauptstraße, die vom 500 Kilometer entfernten Persien bis nach Südsibirien führte, aber eben doch abseits der Seidenstraße. Erobert wurde diese Gegend immer wieder: von den Mongolen, den Arabern, den Türken. Im 16. Jahrhundert kamen die Usbeken und gründeten das Chanat Chiwa. Sie machten aus der Oase die Hauptstadt von Chorasmien und kontrollierten von hier aus die Wüste bis hin zum Aral-See. 1873 rückten die Soldaten des Zaren an und stellten das Chanat unter russisches Protektorat. Fern von St. Petersburg konnte eine gewisse Unabhängigkeit bewahrt werden, bis 1920 die Sowjets den letzten regierenden Fürsten nach Moskau zitierten und ihn die Volksrepublik Chiwa ausrufen ließen. Wenig später wurde aus den Chanaten von Buchara und Chiwa und Teilen von Turkestan die Usbekische Sozialistische Sowjetrepublik.

Die erste Versammlung der USSR fand 1924 allerdings außerhalb der Stadtmauern in der Sommerresidenz des Chans und nicht in den traditionellen Palästen statt. Von ihnen gibt es zwei. Aus dem 18. Jahrhundert stammt die Festung "Kunja-Ark" mit ihren lehmigen Bauten, von derem hochgelegenen Aiwan, der sonnengeschützten offenen Terrasse, man über die grünen Felder der Oase weit auf die Sandhügel der Wüste Kara-Kum schauen kann. Der jüngere Palast "Tasch-Chauli" besteht aus drei Teilen, dem Gerichtshof, dem Audienzsaal und dem geräumigen Harem. 165 Zimmer soll es für den Chan und seine vom Koran gestatteten vier Gattinnen und den inoffiziellen Frauen gegeben haben. Angenehm hat man hier einst um den rechteckigen Platz gelebt. In der Mitte steht der Brunnen, dessen Wasser auch heute noch ein köstlicher Trank ist, drumherum gruppieren sich in zweistöckigen Gebäuden die getrennten Wohnungen, deren Dächer von kunstvoll geschnitzten Holzsäulen getragen werden.

Der Grundriß der alten Stadt ist unregelmäßig. Ein eigentliches Zentrum gibt es nicht. Der Vergleich mit einem rechteckigen Sportfeld, das ringsherum von steil aufragenden hohen Lehmmauern umgeben ist, ist zwar nicht ganz zutreffend, gibt aber doch am ehesten einen Begriff für die Struktur des Ortes. Die Mittellinie ist die Hauptverbindungsachse für den Steinweg vom westlichen zum östlichen Tor. Von ihr aus breiten sich nach links und rechts die offiziellen Anlagen aus: der Palast, die vielen zwischen 1617 und 1894 erbauten Medresen, die Moscheen, die Minarette, das Mausoleum für den verehrten Nationaldichter Pachlawan Machmud (1825), der erstaunlich große Residenzplatz, der Kerker "Sindan", das Badehaus "Anusch-Chan" von 1657 und die Karawanserei. Hinter diesen monumentalen und mit Majolikafliesen verkleideten Ziegelbauten schließen sich dann in Richtung Nord- und Südtor die einstöckigen Häuser des "Volkes" an.

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